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Beitrag vom 05.10.2011
Dota und die Stadtpiraten - Das grosse Leuchten
Nina Breher
Ohne Risiken, dafür mit Nachwirkungen, zeigt eine Berliner Band, dass ihre Live-Performances den Studioaufnahmen in nichts nachstehen. Eine fröhliche Platte voller Seitenhiebe auf das Establishment!
In ihrem letzten Longplayer "Bis auf den Grund" rief die auch als Kleingeldprinzessin bekannte Dota Kehr mit ihrer Band Die Stadtpiraten (Jan Rohrbach, Nicolai Ziel, Leon Schurz) im Schlepptau dazu auf, "Urlaub im Containerhafen von Venedig" zu machen. Nun sind Dota und die Stadtpiraten mit einem Livealbum zurück und der Urlaub in Italien hat ihnen sichtlich gut getan. Auf dieser CD paart sich Gutelaunemusik mit Sozialkritik.
Ob "Das grosse Leuchten" die große Erleuchtung bringt? Frei nach dem Motto ´die 68er sind tot – es leben die 68er!´ vereinen die jazzigen Songs resignierte Ironie und Politik und beweisen, dass es sie noch gibt: Intelligente deutschsprachige Musik auf der Höhe ihrer Zeit – abseits von gehauchten Kuschelliedern, pompösen Liebesballaden und Möchtegern-Rocknummern. Der politische Anspruch wird HörerInnen als süßsaure Beilage serviert.
Wer noch nie von der seit mittlerweile acht Jahren existierenden Band gehört hat, ist mit diesem sauber abgemischten Livealbum bestens bedient. Denn neben sechs neuen Stücken und zwei Instrumental-Medleys der Stadtpiraten aktualisierte die Gruppe mit der energetischen Sängerin Songs der vorherigen Alben. Besonders empfehlenswert: "Tempomat", "Immer die andern" und "Kein Morgen". In diesen Liedern verstecken sich hinter fröhlich gezupften Gitarren und mädchenhaft-rotzig dahingeworfenen Zeilen Botschaften, die den Reichtum der westlichen Welt und deren (nicht vorhandene) Moral anprangern. Mithilfe der durchlässigen Sprachwände ihrer augenzwinkernden Texte erreichen die Stücke eine größere Wirkung als verbitterte Parolen es heutzutage könnten.
Ein Beispiel: "Der Fluch des Schlaraffenlands", ein "Lied zum Hüpfen", wie Dota in der Ansage betont, ist unscheinbar, lädt zum Tanzen ein und erzählt von Rosinen und Popcorn: "Es ist süß und weich, es ist überall gleich, wie ein Zuckerwatteschaumdessert". Worum es wirklich geht, tritt unter dem Deckmantel der kindlichen Fröhlichkeit oft nur subtil hervor – es ist dieser Kontrast, der die Nachwirkung doppelt kraftvoll macht: "Ab gewissen Summen kann man sich alles leisten / Selbst ein reines Gewissen, und das können die meisten / Es kommt nur darauf an, dass das Schlaraffenland dicht bleibt, also Schotten dicht." Doch auch vor Balladen schrecken Prinzessin und Piraten nicht zurück: Titel wie "Transparent" und "Zuhause" sind erholsame Inseln inmitten der rasanten Konzertaufnahme.
Die Band, die mittlerweile eine feste subkulturelle Größe darstellt, tourt derzeit durch Deutschland und war, vom Goethe-Institut gefördert, ebenfalls schon an anderen Orten in Europa sowie in Neuseeland unterwegs. Auch für einen Soli-Auftritt in der Berliner Humboldt-Universität anlässlich des Bildungsstreiks 2009 waren sie sich nicht zu schade.
AVIVA-Tipp: Dota und die Stadtpiraten werfen lachend und tanzend unangenehme Fragen auf, hinterfragen das System in seinen Grundfesten und geben gedanklich wie musikalisch ein Tempo vor, das dem Rattern einer U-Bahn zur Stoßzeit gleichkommt. Ein großartiger Mix aus neuen und alten, live eingespielten Songs, welche die Gegenwart betrachten und besingen. So lädt die Platte gleichermaßen zum Schmunzeln und zum Nachdenken ein.
Dota und die Stadtpiraten
Das grosse Leuchten
Label: Kleingeldprinzessin Records, VÖ: 30.09.2011
Vertrieb Broken Silence
17,98 Euro
www.kleingeldprinzessin.de
Weiterhören auf AVIVA-Berlin:
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